Mit der Bahnreform in Frankreich wurde das Cargo-Unternehmen der SNCF im Januar 2020 zu einem selbstständigen Unternehmen als Aktiengesellschaft umgewandelt. Die SNCF-Mutter übernahm die Schulden ihrer Frachttochter in Höhe von 5,2 Milliarden Euro, stattete den jetzt selbständigen öffentlichen Konzern jedoch nur mit einem Kapital von 170 Millionen aus. Ohne durchgreifende Reformen könnte sich Fret SNCF damit kaum lange über Wasser halten. Die Horrorvision am Horizont: Das Traditionsunternehmen könnte schlicht verschwinden, falls es nicht profitabel wird.
Die Tageszeitung Le Figaro spricht von einem „Notfall“: „Seit 1997 hat Fret SNCF nie Geld verdient“, zitiert sie Sylvie Charles, die Generaldirektorin für den multimodalen Schienengüterverkehr bei SNCF. Entsprechend offensiv gab sich am 16. Januar 2022 der Vorstandsvorsitzende der SNCF, Jean-Pierre Farandou. Der Güterverkehr werde bei der Modernisierung des Schienennetzes eine seiner beiden Prioritäten sein.
Ein wenig Licht am Horizont erkannte jetzt Frédéric Delorme, Präsident von Rail Logistics Europe, bei einem Gespräch mit dem Club VRT der Transportzeitschrift ville-rail-transports. Am 16. Februar erklärte er, Fret SNCF sei 2021 erstmals wieder in die Gewinnzone zurückgekehrt. Die Höhe des Gewinns liege bescheiden „etwas über dem Saldo“. 2020 hatten die Verluste noch 105 Millionen Euro betragen. Jetzt werde von einer ausgeglichenen Marge und Cashflow im Jahr 2023 ausgegangen.
Fret SNCF verdankt seine Erholung dem Anstieg der Geschäftstätigkeit, den Bemühungen um höhere Produktivität einschließlich der Senkung der Strukturkosten, dem Verkauf von Vermögenswerten, aber auch der finanziellen Unterstützung der öffentlichen Hand über Beihilfen für Mautgebühren und Einzelwagenverkehr. „Alle Tochtergesellschaften sind 2021 im grünen Bereich“, betonte der Chef der Fracht- und Verbundaktivitäten der SNCF-Gruppe weiter, zu der Fret SNCF, Captrain, Naviland Cargo, VIIA und Forwardis gehören.
Fret SNCF verliert immer noch Marktanteile
Auch wenn sich das Staatsunternehmen langsam berappelt – gegenüber der Konkurrenz steht es weiterhin stark im Wind. Das zeigt der Jahresbericht des französischen Schienenverkehrsmarktes für das Jahr 2020, den im Dezember 2021 die französische Aufsichtsbehörde Autorité de régulation des transports (ART) veröffentlichte. Dem Bericht zufolge bestätigte sich auch 2020 der anhaltende Niedergang von Fret SNCF. Während sein Anteil (ausgedrückt in Tonnen/km) 2018 noch 57 Prozent betrug, waren es 2020 nur noch 52 Prozent. Auch Captrain France ging um einen Punkt auf 11 Prozent zurück. DB Cargo France legte gleichzeitig um einen Punkt auf 13 Prozent zu, ebenso wie Lineas France (4 Prozent). Die anderen Eisenbahnunternehmen wiederum stiegen weiter im Ranking und beanspruchten einen Anteil von 7 Prozent gegenüber 5 Prozent im Jahr 2018.
Gefordert: Ein Marshall-Plan für das Schienennetz
Die Transportaufsichtsbehörde ART lässt keinen Zweifel aufkommen: Der geringe Anteil des Schienengüterverkehrs (SGV) in Frankreich am allgemeinen Transportaufkommen ist auch durch den schlechten Zustand des Gleisnetzes bedingt. Trotz stark gestiegener Staatsausgaben für die Sanierung des „traditionellen“ Schienennetzes, also ohne die davon getrennten Hochgeschwindigkeitsstrecken, nahmen im Jahr 2020 die „überalteten“ Gleise, die teilweise auch von Güterzügen genutzt werden, um 0,8 Prozent zu. Sie machen jetzt 21 Prozent des nationalen Schienennetzes aus.
Deshalb fordert der Chef von Rail Logistics Europe Frédéric Delorme einen „Marshall-Plan“ für das französische Schienennetz. 2,8 Milliarden Euro pro Jahr, um das Schienennetz zu regenerieren, reichen seiner Meinung nach nicht aus. Wenn nicht sofort massiv investiert werde, sei es in zehn Jahren zu spät, warnt der Manager. Dabei sei das gesellschaftliche und wirtschaftliche Klima für die Schiene derzeit gut wie nie zuvor. Schließlich fragten heute die Verlader bei der Auswahl ihres Transportmittels nach dem CO2-Fußabdruck jedes Transportmittels, während sie früher nur an den Preisen interessiert waren. Delorme: „Das verschafft der Schiene einen echten Wettbewerbsvorteil.“
Ziel des nationalen Fracht-Carriers und der anderen Akteure des Schienengüterverkehrs, die sich in der Alliance 4F zusammengeschlossen haben, ist es, den Anteil des Schienengüterverkehrs in Frankreich von heute neun Prozent auf 18 Prozent im Jahr 2030 zu steigern. Im Vergleich zu den in Deutschland angepeilten 25 Prozent ist das ein moderates Ziel – doch es hat dennoch einen hohen Preis. Grundlage könnte die im vergangenen September vorgestellte nationale Strategie für den Schienengüterverkehr sein. Davon ausgehend schätzen die französischen SGV-Unternehmen, dass noch gut zehn Milliarden Euro investiert werden müssen, um den Anteil der Schiene in zehn Jahren wirklich zu verdoppeln.
Schienenförderung soll Wahlkampfthema werden
Einen solchen Reformschwung trauen die SGV-Unternehmen ihren Politikern offenbar nicht automatisch zu. Am 9. Februar 2022 erklärte die 2020 gegründete 4F-Allianz (die Abkürzung bedeutet „Fret Ferroviaire Français du Futur“, französischer Bahnfrachtverkehr der Zukunft): Das Thema SGV glänze in den meisten Reden der Kandidaten für die kommenden Präsidentschaftswahlen durch Abwesenheit. Notwendige Ambitionen zu substantiellen Investitionen seien so schwer erkennbar.
So stehe dieser für die Industrie und die Versorgung des Landes wichtige Sektor in Frankreich derzeit an einem Scheideweg. Auf der anderen Seite sind die vom Klimagesetz seit 2021 proklamierten Ambitionen stark, und es wurde eine gewisse Dynamik in Gang gesetzt. Dazu gehörten die nationale Strategie zur Entwicklung des SGV, die Unterzeichnung eines Pakts und die ersten Finanzierungsvereinbarungen zwischen dem Staat und dem nationalen Betreiber der Schieneninfrastruktur SNCF Réseau sowie Beihilfen für SGV-Unternehmen, die derzeit bis 2024 geplant sind. Diese positiven Ansätze gelte es jetzt zu verstetigen. Denn der ART-Jahresbericht belegte die Schwäche des derzeitigen Schienennetzes mit klaren Zahlen. Mit 31 Milliarden Tonnen/km ging 2020 der Anteil des SGV am Modal Split in Frankreich sogar zurück – um 0,2 Punkte auf 9,7 Prozent.
Hermann Schmidtendorf, Chefredakteur